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Orangen auf Reise
Frankfurter Rundschau | 25.05.2002
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++++ Die europäische Wander-Biennale "Manifesta 4" kommt nach Frankfurt, erobert die Stadt und bohrt jede Menge Löcher ins System
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++++ Träge wälzt sich der Fluss unter dem grauen Himmel an den Hochhäusern vorbei, die Sonne hat ihr Erscheinen auf den Nachmittag verschoben. Sie wartet auf die Orangen, die bald in einer langen Reihe auf dem Fluss erscheinen sollen. Jeden Tag in den kommenden zwei Monaten Manifesta 4 in Frankfurt wird der Niederländer Jasper van den Brink die leuchtenden Kugeln aus der Tiefe des Wassers ans Licht blubbern lassen. Die Orangen sollen sich auf die Reise machen, den Fluss herunter.
Sie werden auch an dem kleinen, weißen Häuschen vorbeischwimmen, das der italienische Künstler Gianni Motti ans Ufer der Maininsel gebaut hat. Diese enge Hütte erzählt nicht die Geschichte eines fröhlichen Aufbruches, sondern die einer Festsetzung: Es ist eine Rekonstruktion der Zelle, in der der Kurdenführer Abdullah Öcalan seit über drei Jahren auf einer türkischen Insel eingesperrt ist. Von der Bubis-Brücke aus gesehen sieht es fast so aus, als stürze das eckige Gebilde in den Fluss, so nah quetscht es sich ans Inselufer. Auf dem anderen Flussufer kommt eine große Stellwand mit Picassos Guernica in den Blick, von dem spanischen Künstler Ibon Aranberri comichaft vereindeutigt zur Ikone seiner selbst. Und geht man dann weiter, auf das klassizistische Portal der Portikus-Ausstellungshalle zu, liest man, in großen, krakeligen Buchstaben auf die Säulen gemalt wie ein Graffiti, das Wort "Resist".
Doch trotz Öcalan-Mahnmal und Guernica-Zitat ist der allgemeine Aufruf zum Widerstand nicht der kategorische Imperativ dieser Biennale. Er lautet wohl eher: Reflektiere! Reflektiere die Gesellschaft, die Stadt, das Kunstsystem, die Ausstellung, dich selbst als Künstler, als Kurator, als Besucher.
Nach Rotterdam, Luxemburg und Ljubljana ist Frankfurt der vierte Schauplatz der Manifesta, die sich als "nomadisierend" versteht, mit neuen Machern und neuem Konzept für jede Ausgabe. Die drei aktuellen Kuratorinnen Iara Boubnova, Nuria Enguita Mayo und Stéphanie Moisdon Trembley haben den knapp 90 Teilnehmern bewusst kein übergreifendes Motto gestellt: Sie wollten die überwiegend jungen Künstler nicht durch ein Thema einengen. Trotzdem wirkt die Schau kohärent - sie balanciert immer an den Rändern des Kunstsystems.
Am besten kann man das im Frankensteiner Hof verfolgen, einem alten Verwaltungsgebäude auf der Sachsenhäuser Seite des Mains, das die Manifesta zur Kunstlocation umgewidmet hat. Da hat der Portugiese Sancho Silva eine Aussichtsplattform gebaut, die mit einfachen Mitteln eine komplexe Reflexion über Ausstellung als Medium von Inklusion und Exklusion in Gang setzt. Die Arbeit besteht aus einem Holzverschlag in der ersten Etage, der nicht von der Ausstellung aus betreten werden kann, sondern nur über eine Treppe von der Straße aus. Diese Installation etabliert einen Außenraum im Innenraum: Man kann dort als Zaungast ohne Eintrittskarte hineingehen und durch einen Schlitz in die Ausstellungsräume selbst schauen - die eigentlichen Ausstellungsbesucher aber sind ausgeschlossen und werden unversehens selbst zu Ausstellungsstücken.
Ausstellen bedeutet, Blicke zuzulassen, zu lenken, zu hindern: Das steckt auch in der spielerischen Installation des Japaners Takehito Koganezawa. Er hat einen alten Waschraum mit Bretterwänden abgeteilt, so dass man nur durch kleine Löcher bestimmte Teilstücke des Raumes in den Blick bekommen kann. Zwei Monitore zeigen einem den Raum aus einer zusätzlichen Perspektive, so dass man zunächst in Verwirrung gerät: Ist das Bild auf dem Monitor nun echt oder nicht? Um das bizarre Gefühl auf die Spitze zu treiben, führt Koganezawa hier eine Performance durch, bei der mehrere Akteure durch den Raum springen und Wecker ausmachen, die überall versteckt sind und losklingeln, während in einer Ecke ein weiteres Video Knetfiguren-Metamorphosen in Endlosschleife zeigt.
Knetweich und lustig ist diese Kunst, sie hält nicht nur dem Kunstsystem den Spiegel vor, sie lädt auch ein zu einer Reise in die wundersame Welt dahinter. Und so kann man sich verlaufen in dem Labyrinth aus immer gleichen Türen und immer gleichen Räumen, das die Polin Monika Sosnowka gebaut hat, oder unvermittelt in lichtdurchflutete hohe Turmzimmer blicken. Und damit man nicht mehr als einen Moment lang vergisst, sich mit der Außenwelt zu beschäftigen - Reflektiere! - gucken immer wieder die Figuren von Anton Litvin durch's Fenster hinein, lebensgroße Gestalten, die ein Riese aus ihrem Wohnzimmer gerissen hat, so dass sie nun, die Fernbedienung für den Fernseher in der Hand, deplatziert an einer Fassade hängen und von der schönen Kunst der Verfremdung durch Kontextwechsel erzählen.
Im Frankensteiner Hof sind auch die einzigen Gemälde auf dieser Manifesta zu finden: Sie sind Teil einer Installation von Alban Hajdinaj aus Tirana. Ein süßliches Kinderpaar hockt dort in drei Versionen auf einer Straße, sie werden herangezoomt, während im Hintergrund ein Auto bedrohlich näher kommt; die auf einem Tisch davor arrangierten Nippesfiguren und Geschirrteile machen die Melancholie komplett. Im Treppenhaus aber verschiebt die Frankfurter Gruppe finger den Focus wieder auf politische Graswurzelaktivitäten: Sie wollen 10 000 Euro an den Gewinner eines Wettbewerbes zur "selbstbeauftragten Gestaltung des gesellschaftlichen Umfeldes" zahlen. Engagement wird soziale Plastik - während die gleichen Projekte nebenan beim Frankfurter Attac-Kongress unter dem Label der Politik laufen könnten.
Vielleicht ist es aber wirklich endgültig überflüssig, sich immer wieder zu fragen, ob dieses nun noch Kunst oder jenes schon Politik oder einfach nur das Leben sei: Interessanter ist die Untersuchung der Beziehungen zwischen den Systemen, und eines dieser Systeme ist das Ich. Einer der akribischsten Forscher in dieser Hinsicht ist der Belgier Christoph Fink, der im Frankfurter Kunstverein ausstellt. Er dokumentiert seine eigene Reise nach Frankfurt und durch die Stadt mittels langer Papierstreifen, die mit unzähligen Markierungen und Notizen übersät sind. Sie geben darüber Auskunft, wann er wo gewesen, wann geschlafen, vielleicht sogar was gedacht hat, und die subjektive Aneignung von Zeit und Raum gerinnt zu Form: So also liest er diese Stadt, mit seinem Körper und seiner Zeit.
Manchmal sehnt man sich angesichts von Christoph Fink und vielen anderen Werken, die ihre Ideen mit Low-Budget-Gebastel umsetzen, nach prallen, glänzenden "Werken" im altmodischen Sinne. Aber: von den Oberflächen des Pop hat sich diese Generation, wie sie auf der Manifesta präsentiert wird, längst abgewandt. Und wenn sie politisch wird, versucht sie sich nicht in revolutionären Gesten, operiert nicht mit großen Utopien, sie arbeitet sich nicht einmal mehr an deren Verlust ab. Statt des Hammers benutzt sie einen kleinen Bohrer, macht hier und da ein kleines Loch in's System - und was ausgestellt wird, sind die Späne, die bei der Arbeit an der Institution herunterrieseln.
Zum Glück fallen bei der Säge- und Bohrarbeit auch einige schöne Geschichten ab. Man bekommt sie im Städel erzählt, wo eine sehr überzeugende Lösung für das Problem der Videopräsentation gefunden wurde. Auf sechs Leinwänden laufen dort Videos, per Kopfhörer ist man trotzdem mit seinem Ton allein - und trifft zum Beispiel auf den Film des Wieners Jun Yang. Mit sanfter Stimme spinnt er da sein Lebensnetz, erzählt von dem Besuch bei den Großeltern in China, von den Business-Men in Japan, von Identifikation und Kulturvergleich, und zwischen den eigenen Familienaufnahmen zeigt er immer wieder lustige Superman-Bilder oder Einstellungen aus Bertoluccis Letztem Kaiser.
Auch die eigene Biographie, so das Fazit, stammt nicht nur von einem selbst, und das ist überhaupt nicht schlimm. Es ist kein schlechter Ort dort, am Rande der Kunst oder der Politik oder der Nationalitäten, wo diese Manifesta sich so unpathetisch eingerichtet hat.
Manifesta 4, Frankfurt am Main, noch bis zum 25. August (www.Manifesta.de).

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von/by Elke Buhr

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