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Sozialer Schrott
Berliner Zeitung | 01.06.2002
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++++ Beinahe wäre dem Frankfurter Ordnungsamt vor ein paar Tagen ein schwerer Fall von Kunstvandalismus unterlaufen. Die städtischen Ordnungshüter wollten ein ausgebranntes Auto abschleppen, das vor der Kunsthalle Schirn steht. "Es war für unseren Mitarbeiter nicht erkennbar, dass es sich um ein Kunstwerk handeln könnte", räumte der Leiter der für nichtzugelassene Fahrzeuge zuständigen Bußgeldstelle, Joachim Seidel, verständnisvoll ein.
Das Schrottauto ist ein Beitrag des Künstlers Marc Bijl zur derzeit in Frankfurt am Main stattfindenden Kunstbiennale "Manifesta" (siehe BLZ vom 30.5.). Mit seinen Interventionen im öffentlichen Raum will der Künstler "soziale Themen" ansprechen und die "Wahrnehmung der Welt untergraben". Zumindest bei den Vertretern des Ordnungsamtes ist ihm dies mit seiner simplen Provokation gelungen. Aber werden die Männer vom Abschleppdienst von nun an ihre Arbeitseinsätze in anderem Licht sehen? Werden sie jeden zu entsorgenden Schrott künftig auf seine Ästhetik des Verfalls hinterfragen, werden sie angesichts zerbeulter Karosserien in Meditationen über die Vergänglichkeit des Objektes oder ihres Tuns verfallen, werden Ölwannen sich ihnen zu Altären der Nachhaltigkeit verklären, werden sie gar in sich selbst den Künstler am Werk der "sozialen Plastik" erkennen?
Leider ist nicht bekannt, wie sich Lebensentwurf und Weltwahrnehmung der Putzfrauen verändert hat, die seinerzeit in bester Arbeitsethik Joseph Beuys Fettecke aus einer Badewanne gescheuert haben. Dabei sollte doch gerade bei dieser sich "sozial" nennenden Kunstabsicht gelegentlich ihre gesellschaftliche Wirkungsweise überprüft werden.
Doch die Auffassung von sozialer Kunst als Eingriff in gesellschaftliche Zusammenhänge scheint hoffnungslos altbacken. Auf die Säulen des Ausstellungsgebäudes "Portikus" sprühte Bijl groß das Wort "Resist". Damit will er aber keineswegs zum Widerstand gegen irgendetwas Bestimmtes aufrufen oder etwa zu einer irgendwie sozialen Handlung motivieren. Nein, die sinnentleerte Phrase soll als Kritik an sinnentleerten Phrasen und ihrer Repräsentation als Markenzeichen gelesen werden. So demontiert sie letztlich den Mythos vom Sinn jeglichen sozialen Engagements. Nach der verschraubten Logik solcher Jungkunsttheorie ist das wiederum eine höchst politische Aussage.
Die Jury des hoch dotierten Londoner Turnerpreises begründete soeben die Nominierung eines Klo-Fotos als "fesselnde Darstellung", die dazu anrege, die "Orte, die wir kennen", neu zu überdenken. Ein entschlossen proletarisches "Scheiß-drauf!" wäre da nicht nur die Verwirklichung einer "sozialen Plastik", sondern geradezu die Rehabilitierung ihres Gehaltes: die direkte politische Aktion.

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von/by Sabine Vogel

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