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Künstlerporträts (22): Nina Fischer & Maroan El Sani Frankfurter Rundschau | 22.06.2002
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++++ Sie heißen "Interflug", "Suicide Club", "Kunst + Technik" oder "Dienstagsbar" und liegen in Berlin-Mitte. Nur Eingeweihte wissen, wo sie sich befinden und wann sie geöffnet haben. Sie sind auf Flüchtigkeit hin angelegt: Von einem auf den anderen Tag können sie verschwinden, um eventuell an einem noch heißeren Hotspot wieder aufzutauchen. Diese "Phantomclubs" sind fester Bestandteil von Berlins Nachtszene. Wer den angesagtesten - und damit am besten versteckten - kennt, weist sich als Insider aus.
Nina Fischer & Maroan El Sani leben in Berlin und kennen die Clubs. Doch ihre Arbeit für die Manifesta zeigt nicht die Nacht, wenn der Club brummt und die Szene lebt. Sie fotografieren die Eingänge am Tag, wenn die Türen geschlossen sind und die Besucher noch ihren Rausch ausschlafen oder gerade peinlich berührt neben einer Person aufwachen, die am Abend vorher noch etwas anders aussah.
Die verrammelten Türen, dunklen Hinterhofflure, diskreten Treppen und schiefen Tore wirken, als hätten sie selbst einen gehörigen Kater und scheuten das Tageslicht, weil es zu sehr in den Augen brennt. Nichts vermittelt sich mehr vom lebendigen Treiben der Nacht. Kein Hinweis gibt Hilfestellung, dass es sich hier um den Zugang zu einer begehrenswerten Welt handelt. Es sind vergitterte Abgänge mitten auf einem Straßenbahnsteig, mit Ketten verrammelte Blechtore, die sich - halb aus den Angeln gerissen - wie hilfesuchend aneinander lehnen, oder verlotterte, mit Holzplatten vernagelte Türen neben zugemauerten Fenstern. Es sind verlassene, vergessene, leblose Orte ohne Identität mitten in Dreck, bröckelndem Putz und alten Graffiti.
Seit 1993 arbeiten Fischer und El Sani zusammen und spüren mit detektivischer Akribie und bewaffnet mit Fotoapparat, Computer oder Videokamera, der Frage nach: Was bleibt, wenn die Menschen ihr Terrain verlassen haben? Sie selber bezeichnen ihr Vorgehen sehr treffend als "Aura-Forschung". Sie kratzen den Lack von der Oberfläche ab, um zu sehen, was sich verbirgt, um das dahinter Liegende hervortreten zu lassen. In ihrem Film Berlin (sunrise) - 10 Sek. an die Zukunft denken etwa bitten sie junge Menschen beim morgendlichen Verlassen eines Clubs (vielleicht einer der oben erwähnten ?), sich zehn Sekunden darauf zu konzentrieren, was ihnen die Zukunft bringen wird oder soll. Bei dem Blick nach innen fallen die erlernten Posen der Coolness ab. Und für einen Moment kommt etwas zum Vorschein, das sich jenseits von angesagten Kleidungscodes und aufgesetzten Verhaltensmustern bewegt. So ist es wohl auch mit den Eingängen der Phantomclubs: Sie lassen die Maske fallen.
Frankfurter Kunstverein, bis 25. August. jdv
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