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Künstlerporträts (45): Lise Harlev Frankfurter Rundschau | 19.07.2002
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++++ Die Farben nähren bestimmte Erwartungen. Ein gelb-roter Farbverlauf auf einem Plakat, der sagt doch schon alles. Nein, sagt er, ich kündige keine spannende Veranstaltung an, guck ruhig woanders hin, wenn du nicht gerade ein Fan von Oldie-Paraden bist. Braune Linien auf Hellblau wiederum signalisieren: Avantgarde. Das kann dann Werbung für einen Kunsthochschulrundgang sein oder für eine Szene-Boutique.
Das gleiche gilt für die Typographie. Eine Schreibmaschinenschrift verkündet wahrscheinlich ein postmodernes Theaterstück. Fette kleine Blockbuchstaben signalisieren Jugend; wahrscheinlich geht es um Pop. Dann sind da noch grafische Elemente und wie die Schrift so den Raum füllt - alles Kriterien, die über die Wahrnehmung eines Plakates entscheiden. Meist wird man nicht überrascht.
Lise Harlev setzt sich mit Sprache auseinander, und sie denkt über Identität nach. Das liegt nahe, denn die dänische Künstlerin, die 1973 in Odense geboren wurde, kam 1999 bis 2000 als Gaststudentin an die Frankfurter Städelschule. Vermutlich wurde sie dort unterschwellig mit bestimmten Erwartungen konfrontiert. Auch wenn sich das nie konkret festmachen lässt.
Häufig ist man ja gar nicht in der Lage, die Dinge neutral zu betrachten. Wenn unsereins das Wort "übel" hört oder sieht, denkt er an etwas Negatives, ganz automatisch. Lise Harlev dachte, es müsste etwas heißen wie "großartig". Wenn man ihre Plakate betrachtet, die derzeit als ihr Manifesta-Beitrag im Frankfurter Kunstverein rein hängen, denkt man im ersten Moment an kulturelle Diskussionsveranstaltungen, an ein Elektronik-Konzert oder an ein hochtrabendes wissenschaftliches Blockseminar über strukturelle Interferenzen im Werk von XY.
Und diese Assoziationen sind gar nicht so falsch. Lise Harlev wollte, dass die Poster so aussehen wie typische Kunst-Biennalen-Plakate. "Glaubst du, dass deine Nationalität Einfluss darauf hat, wie das Publikum deine Arbeit im internationalen Kunstkontext einordnet?" fragt Lise Harlev in schwarzen Versalien vor Grün ihre Kollegen. Oder "Glaubst du, dass deine Teilnahme an einer internationalen Kunst Biennale die Sicht des Publikums auf dein Heimatland beeinflusst?"
Fragen, die nicht nur die Künstler betreffen, sondern unser eigenes Rezeptionsverhalten. Sucht man als Betrachter in finnischen Werken die Melancholie? Interpretiert man in rumänische Arbeiten Anzeichen von Rebellion gegen die Diktatur hinein? Was erwarten wir bei der Biennale namens Manifesta von welchem Teilnehmer aus welchem Land?
Einige Antworten von Künstlern hat Lise Harlev auf ihre Plakate gedruckt. Statements, die man dann mit seinen eigenen Ansichten vergleichen kann. Zum Beispiel: "Normalerweise erregen Arbeiten aus exotischen Ländern mehr Aufmerksamkeit." Ist das wirklich so?
Lise Harlev lockt mit Farben, Buchstaben, Formen. In Erwartung einer banalen Ankündigung geht der Betrachter in die Falle. Muss auf einmal seine eigenen Vorurteile überprüfen. Die Manifesta bietet sich dafür an. ani
Die Plakate von Lise Harlev sind im Frankfurter Kunstverein zu sehen, Am Römerberg (Markt 44). Und zwar noch bis zum Ende der Manifesta am 25. August.
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von/by
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