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Künstlerporträts (50): Anton Litvin Frankfurter Rundschau | 25.07.2002
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++++ Bisschen seltsam, wie die Dame da liegt: auf dem Rücken, die Arme in die Luft gestreckt. Sie trägt einen roten Over-all, in der Hand hält sie Werkzeug, und würde sie jetzt nicht auf diesem Unterstanddach liegen, sondern unter einem Auto, käme uns die Szene ziemlich normal vor. Von den Pumps abgesehen. Seltsam auch dieser ältere Herr mit dem etwas zu groß geratenen Filzhut auf dem Kopf. Bestimmt drei Minuten lang kramt er in seiner Einkaufstasche. Dann schaut er im Jackett nach. Und endlich: das Päckchen "Kokett"-Taschentücher ist gefunden.
Anders als die Mechanikerin ist der Mann keine Skulptur von Anton Litvin. Weil der Künstler aber Ferngläser im Frankensteiner Hof ausgelegt hat, damit man seine lebensgroßen Puppen auf den umliegenden Hausdächern näher betrachten kann, nutzt man die Feldstecher auch für andere Beobachtungen. Im Haus gegenüber macht eine Frau Gymnastik im Nachthemd, eine andere füttert den Wellensittich. Das Gebäude könnte einen neuen Anstrich vertragen. Irgendwo steht ein Typ im Morgenmantel auf dem Dach, er sieht aus wie ein Prediger, ist aber zum Glück Kunst und nicht krank.
Anton Litvin, der in Moskau lebt, findet, dass "der private Raum zu offen und zugänglich für die neuesten Kommunikationstechnologien geworden ist". Mit seinen Skulpturen will er den Einfluss, der Massenmedien auf den Lebensstil und das Verhalten der Menschen verdeutlichen. Und er will, dass wir hingucken und die Kunst im Alltag entdecken. Der 35-jährige Aktionskünstler ist Mitbegründer der "Escape Art Group" in Moskau, die vor unvorbereiteten Zuschauern unspektakuläre Aktionen improvisiert. Nicht was stattfindet, ist bemerkenswert, sondern wo es stattfindet. Oder würden Sie sich im Einkaufszentrum die Fußnägel schneiden?
Ähnlich funktioniert der Überraschungsmoment bei Litvins Figuren, die aus ihren normalen Zusammenhängen herausgelöst und mit seltsamen Attributen versehen sind. Zum Beispiel mit einer Fernbedienung. Was macht man denn damit auf dem Dach? Wäre es nicht lustig, wenn man vom Dach aus die Fersehprogramme der umliegenden Häuser manipulieren könnte? Den "Vera-am-Mittag"-Gucker würde man mit der "Drehscheibe" ärgern, und statt der abendlichen "Sommernachtsfantasien" im ZDF gäbe es "So klingt's bei uns im Arzgebirg". ani
Frankensteiner Hof, Große Rittergasse 103, bis 28. August.
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