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Einfach anfangen Newsletter 1 | Juni 2001
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++++ Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit, als uns der Ruf erreichte, gemeinsam die nächste Manifesta zu betreuen. Wir kannten einander nicht, aber hatten natürlich sofort mit der Arbeit zu beginnen. Bezeichnenderweise trafen wir uns das erste mal in Frankfurt am 8. März.
Wir begannen mit der Suche nach Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen uns - und wir arbeiten noch immer an einem Projekt, das auf einer solche Gemeinsamkeit gründet, die Differenzen und Gegensätze durchaus einschließt und der Subjektivität den unerlässlichen Raum lässt. Seither reisen wir, sehen uns um, treffen interessante Leute, besuchen viele Veranstaltungen, reden, lesen und lernen auf diese Weise gemeinsam eine Veranstaltung vorzubereiten, die im Einklang mit einer überaus differenten und vielstimmigen Gegenwart stehen soll und muss. Wir versuchen den dynamischen Vorgängen um uns herum, die sich nicht immer und allein im Rahmen des Künstlerischen abspielen, aufmerksam zu folgen und dabei besser zu verstehen, wie sich heute der Transfer von aktuellen Problemen in das Feld der Kultur eigentlich vollzieht. In diesem Prozess werden wir sowohl mit vielen persönlichen wie sozialen Fragen, mit individuellen wie kollektiven Herausforderungen konfrontiert, und auch mit all den vorausliegenden und oft unausgesprochenen, aber doch damit aufs engste verwobenen Bezügen, Gedanken, Kontexten.
Wir selbst sehen Europa nicht als "Grenze" und Begrenzung, sondern als ein Ort und eine Möglichkeit, eine solche Veranstaltung in Gang zu setzen. Wir erkennen in Europa vor allem die hier lebenden Menschen und Völker, einen Ort, der sich zunehmend kulturellen Einflüssen öffnet, die oft ganz anderen Traditionen und Kontexten entstammen. Die Kontroversen hier in Frankfurt betrachten wir deshalb auch als eine Herausforderung und Chance für Manifesta 4. Für uns mangelt es dieser Veranstaltung als einer "mobilen" Biennale nicht an einem "fehlenden Zentrum", sondern wir verstehen sie, inmitten all dieser Spannungsfelder, gerade als eine Art Erprobungs- und Bewährungsfeld für die zeitgenössische Kunst und ihre Diskurse. Eine Manifesta bringt ihr eigenes Programm und ihr gewachsenes Netzwerk gleichsam immer schon mit, aber sie ist auch zugleich offen für die jeweiligen lokalen Besonderheiten, Erweiterungen und Neuerungen. Gerade als eine Art "Akkumulator" dieser unterschiedlichsten Erfahrungen - die es nicht nur zu beobachten, sondern schließlich auch zu vermitteln und zu gestalten gilt - vermag sie am ehesten mit der Dynamik der heutigen Entwicklungen Schritt zu halten, so etwa in Hinblick auf:
- neue Formen der Wechselbeziehung (Interaktion) zwischen Kunst und Öffentlichkeit, wie sie sich zum Beispiel darin zeigen, dass die Bereiche, die man lange Zeit als "Massenkultur" und "Hochkultur" gegenüberzustellen pflegte, sich inzwischen zunehmend wechselseitig durchdringen, einem Prozeß, an dem insbesondere die neuen elektronischen Medien einen großen Anteil haben
- die zunehmende Fragwürdigkeit der überkommenen Trennungen zwischen öffentlichem und privatem/häuslichem Raum angesichts von grundlegend veränderten Familienstrukturen, neuen Entwicklungen im öffentlichen Raum und hinsichtlich individueller Kommunikationsformen, den sozialen Migrationsbewegungen, den Verkehrsformen im weitesten Sinn oder auch den Wandlungen und Herausforderungen im Städte- und Wohnungsbau. Damit eng verbunden ist für uns das Thema "Erinnern, Archivierung und Sammlung als Versuche der Konstruktion von Geschichte(n)", insbesondere mit Blick auf entsprechende künstlerische Konzeptionen und Reflexionen, sowie die Versuche, an einem veränderten Verständnis von "Subjektivität" überhaupt zu arbeiten
- die Frage einer zunehmenden Maschinisierung von Subjektivität und von Arbeit, also die politische und die ökonomische Maschine, und mit welchem künftigen Selbstverständnis Kunst und Künstler darauf antworten werden, wie es gelingt, die oft vordergründigen Kriterien wie "Neuigkeitswert" und "Tabu-Bruch" zu unterlaufen ohne dabei die obzessiven Wurzeln und elementaren Aspekte des künstlerischen Prozesses zu verleugnen; inwieweit es auch gelingt, jene fruchtbaren inneren Spannungen, die einen solchen Prozeß der Ausstellungsvorbereitung zu begleiten pflegen, als solche in ihr Resultat einfließen können, oder wie es gelingt, geeignete Schnittstellen zu schaffen, über die praktizierende Künstler ihr intensives und doch nicht selten "stilles" Ringen mit den Aufgaben und Grenzen der Kunst wirksam austauschen und diskutieren können.
Wir stehen am Anfang unserer Arbeit. Wir wollen weiter versuchen, unsere Köpfe offen und den Rahmen der Manifesta 4 in diesem Sinn weit zu halten - und dies solange es geht.
Statement von Iara Boubnova, Stéphanie Moisdon Trembley, Nuria Enguita Mayo
veröffentlicht in Manifesta 4 Newsletter 1 Juni 2001
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von/by Iara Boubnova, Nuria Enguita Mayo, Stéphanie Moisdon Trembley
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